Neue Ergebnisse in der Forschung

    • Offizieller Beitrag

    Neue biologische Ursache für Autismus gefunden

    Auf der Ebene der Gene sind Menschen mit Autismus sehr unterschiedlich. Doch ihre Gehirnzellen funktionieren erstaunlich ähnlich. Und neue Forschungsresultate zeigen: Das typische Muster findet sich auch bei Zellen, die einfache Sinnesreize verarbeiten.


    Die genetischen Ursachen für Autismus sind sehr unterschiedlich.

    Autisten haben es nicht leicht im Leben. Sie verhalten sich anders als andere Menschen. Ihr Umfeld reagiert oft ablehnend, manchmal gar ängstlich oder wütend, meist aber einfach verständnislos. Und selbst wer um die Diagnose der Betroffenen weiss, fragt sich mitunter, was mit diesen Menschen eigentlich los ist.

    Diese Frage stellen sich auch Wissenschafter, denn selten ist die Veranlagung nicht. Laut der World Health Organization (WHO) befindet sich jedes hundertste Kind auf dem Spektrum von Autismus. Die einen sind schwer behindert und können kaum sprechen, andere sind im Alltag kaum auffällig.

    Doch nicht nur die unterschiedliche Ausprägung macht es schwierig, die Veranlagung zu verstehen. Ein weiterer Grund dafür sind auch die unterschiedlichen genetischen Ursachen von Autismus.

    Genetische Ursachen sind sehr unterschiedlich

    Eines ist klar: Autismus ist in hohem Masse erblich und wird daher über die Gene an die Nachkommen weitergegeben. Doch betrachtet man die Genome von zwei Menschen mit Autismus, so sind sie meist sehr verschieden.

    Ursache der Veranlagung ist nicht nur eine bestimmte Variante eines Gens, sondern das individuelle Zusammenspiel vieler Gene. Bisher wurden nicht weniger als 102 Gene identifiziert, denen bei der Entstehung von Autismus eine Rolle zukommt. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass noch weitere Gene dazukommen.

    Studien zu genetischen Ursachen arbeiten mit riesigen Datensätzen. Jüngst wurden zur Untersuchung genetischer Ursachen von Autismus und anderen Erkrankungen 36 000 Patienten und ihr Genom, das aus jeweils über 19 000 Genen besteht, analysiert.

    Diese Studien zeigen nicht nur, dass ein Gen allein nichts darüber aussagt, ob ein Mensch autistisch ist. Die sogenannten Risikogene sind meist auch bei der Entstehung psychischer Erkrankungen wie der Schizophrenie oder der bipolaren Störung involviert. Und trotzdem können Träger einer solchen Genvariante auch ganz gesund sein.

    Kurz, obwohl einige Genvarianten das Risiko, autistisch zu sein, erheblich erhöhen. Keine davon ist ursächlich oder hinreichend dafür, dass ein Mensch an Autismus leidet.

    Molekulares Muster im Gehirn ist ähnlich

    Ein neuerer Wissenschaftszweig nähert sich den biologischen Ursachen von Autismus von anderer Seite. Gemessen wird nicht, welche Genvarianten ein Mensch in sich trägt, sondern welche Gene im Gehirn dieses Menschen tatsächlich eine Rolle spielen – welche Gene an- oder ausgeschaltet sind. «Quantitative molekulare Phänotypisierung» nennen die Wissenschafter diese Forschungsmethode.

    Dazu müssen die Forscher mit Gewebeproben arbeiten. Sie untersuchten dazu die Gehirne von Verstorbenen, die zu Lebzeiten autistisch gewesen waren. Und hier zeigt sich: Auch wenn die genetische Veranlagung der Patienten sehr unterschiedlich war, auf der Ebene des Gehirns gab es Gemeinsamkeiten.

    «In etwa 60 Prozent der betroffenen Menschen finden wir ein ähnliches molekulares Muster auf der Ebene des Gehirns», sagt Michael Gandal, der eine kürzlich im Fachjournal «Nature» veröffentlichte Studie leitete.

    Der Vergleich mit den Gehirnen von Menschen ohne Autismus zeigte: Bei Menschen mit Autismus sind mehr Gene aktiv in Zellen, die der Immunabwehr dienen. Gleichzeitig sind weniger Gene aktiv in Zellen, die Information verarbeiten und weiterleiten.

    Typisches Muster im gesamten Gehirn

    Dieses typische Muster liess sich zuverlässig messen und bestätigt, was bereits frühere Studien gezeigt hatten. Neu konnten die Forscher zeigen, dass sich dieses molekulare Muster über das gesamte Gehirn erstreckt. Diese Erkenntnis hat weitreichende Konsequenzen für das Verständnis von Autismus.

    Bisher war dieses molekulare Muster nur in Regionen des Gehirns gefunden worden, die für Prozesse wie Sprache oder für die Steuerung des Verhaltens zuständig sind. Doch nun zeigt sich: Auch Hirnregionen, die für die Wahrnehmung einfacher Signale aus der Umwelt – wie Geräusche und Bilder – zuständig sind, zeigen dieses Muster.

    «Je nachdem, wie das Gehirn Information aus der Umgebung verarbeitet, entwickelt es sich anders. Wird diese Information bereits sogenannt atypisch verarbeitet, so ist die gesamte spätere Gehirnentwicklung davon beeinflusst», sagt der Biowissenschafter Gandal. Für die Wissenschafter ist dies ein Hinweis darauf, dass sich Autismus im Laufe der Hirnentwicklung immer stärker manifestiert.

    Individuelle Therapie je nach genetischer Ursache

    Wie charakteristisch dieses molekulare Muster für Autismus ist oder ob es – ähnlich wie die genetische Veranlagung – auch bei Schizophrenie oder einer bipolaren Erkrankung vorliegt, das muss erst noch untersucht werden. Unabhängig davon könnte dieses Wissen bei der Entwicklung von Behandlungsmethoden für diese Leiden helfen.

    Denn Wissenschafter sind sich einig: Es wird wohl kaum jemals ein einziges Medikament geben, das allen Menschen mit Autismus hilft. Zu unterschiedlich und damit zu individuell sind die Ursachen für die Störung. Realistischer ist, dass in Zukunft je nach genetischer Veranlagung anders behandelt wird.

    Die Vision von Joseph Buxbaum, einem führenden Autismusforscher in New York, ist folgende: In Zukunft könnte bei Patienten ein einzelnes Gen ein- oder ausgeschaltet werden. Möglich ist, dass so beim einen Patienten Symptome von Autismus und beim anderen Patienten Symptome von Schizophrenie gelindert werden könnten.

    NZZ vom 06.11.2022

    AS ist keine Behinderung und keine Krankheit, sondern eine Besonderheit, die man als Chance nutzen soll.


    Liebe Gruess Sunny :winke:

  • Vielen Dank für die Info, Sunny


    Es gibt also bei 60 % der (in der Studie untersuchten) posthumen Gehirnproben Betroffener trotz unterschiedlicher genetischer Veranlagung im gesamten Gehirn eine Übereinstimmung in der Abweichung der epigenetischen Schaltungen.


    Da würde ich meinen, dass man vielleicht in der Genetik nur herausfindet, dass Menschen verschieden sind (102 Gene von 19000, das ist bereits ein halbes Prozent, und das trotzdem alle Menschen 99,9 Prozent gemeinsames Erbgut haben), und stattdessen im epigenetischen Bereich suchen sollte, da die Schaltungsmuster ebenfalls über die Generationen weitergegeben werden.


    Ich bin gespannt, ob tatsächlich in dieser Richtung weiter geforscht wird.

    Mein natürlicher Zustand ist verträumte Abwesenheit. Seit 45 Jahren lebe ich gegen meine Natur.

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