Gut, verpflanzen wir das Thema aus dem Vorstellungsthread hierhin, obendrein leicht korrigiert sowie mit einem Kurzfilmchen am Schluss:
Die Antwort zur berechtigten Frage, ob die Definition von Gut und Böse nicht relativ sei, liefert unter anderem die neuplatonische Philosophie, welche in der Spätantike ursprünglich heidnisch-religiös geprägt war, doch dann aufgrund gewisser Übereinstimmungen massiven Einfluss auf das Christentum und den Islam ausübte, vor allem auf die katholische sowie auf die byzantinisch-orthodoxe Lehre. Aber auch kein theologisch, philosophisch oder gar metaphysisch bewanderter sufistischer Muslim wird dem Folgenden widersprechen (zumal es ebenso Übereinstimmungen mit bestimmten vedisch-hinduistischen Strömungen gibt):
Gott ist das Absolute. Insofern Gott das Absolute ist, ist er auch das absolut Gute, die absolute Wahrheit, die absolute Glückseligkeit, das absolut Schöne, das absolute Licht und die absolute Liebe. Und aus antik-heidnischer Sichtweise ist das Wesen Gottes die absolute Tugend.
Hingegen ist das Dunkel NICHT das Gegenteil von Licht, sondern nur Abwesenheit des Lichtes. Dunkler als in einer Dunkelkammer geht es nämlich nicht. Es gibt keine "Dunkelglühbirnen", welche Finsternis ausstrahlen würden! Ebenso ist Kälte NICHT das Gegenteil von Wärme, sondern nur der Entzug von Wärme. So funktioniert jeder Kühlschrank!
Und in der genau gleichen Weise ist das Böse nur ein vor allem innerliches (aber zugleich gewissermassen auch äusserliches) "sich Entfernen" und "sich Entfremden" von Gott, dem absolut Guten, der immanent UND zugleich transzendent jenseits von Raum und Zeit ewiglich im Hier und Jetzt allgegenwärtig ist. Der hl. Augustinus bestätigte in seiner neuplatonisch gefärbten Schrift "Vom Wesen des Guten" diese Sichtweise. Das Böse hat keinerlei autonome Existenz! (Siehe u.a.: Boëthius: "Trost der Philosophie".)
Gut und Böse sind NICHT "gleich stark", sondern das Böse ist nur ein schlechter Witz und ein Selbstbetrug gegenüber dem absolut Guten und gegenüber sich selbst, auch wenn es in der Dualität dieser Welt durch die relative Realität oberflächlich gesehen anders erscheinen mag.
Aufgrund des freien Willens gibt Gott jedem selbst die Möglichkeit, sich zu entscheiden, sich Gottes Herzenswillen entgegenzustellen und sich von ihm innerlich zu entfernen und zu entfremden. Ich leugne nicht, dass es möglicherweise unsichtbare Wesen gibt, die sich dermassen von Gott entfernt und entfremdet haben (obwohl sie ursprünglich auch von ihm stammen), dass sie in der relativen Realität eine gewisse Macht und bis zu einem gewissen Grad schlechten Einfluss ausüben können.
Wenn man sich jedoch innerlich voll und ganz mit Herz und Verstand dem lieben, allmächtigen Gott, dem Allbarmherzigen, dem Allerbarmer (arabisch: Ar-Rahmán Ar-Rahím) öffnet und hingibt, auch im Gebet, dann hat das vermeintlich Böse, welches es an sich eigentlich nicht einmal gibt, keinerlei Macht über einen. Oder wie ein weiser Mann einmal gesagt hat: "Das Böse ist mächtig, Gott aber allmächtig!"
Theistische Neuplatoniker, gleichgültig ob heidnische, christliche, islamische, jüdische oder hinduistische Neuplatoniker, versuchen deshalb im täglichen Leben die absolute Realität von der relativen Realität unterscheiden zu können sowie das Hauptaugenmerk, die Bewusstseinsausrichtung und das Herz (das "Auge des Herzens") ständig nur auf den absoluten Gott zu lenken, nicht zuletzt durch die drei verschiedenen Hauptformen des Gebetes (kanonisches Gebet, Gesprächsgebet mit Gott sowie die höchste Stufe: das ständige innere Gebet des Herzens) sowie durch Meditation und durch Kontemplation.
Hier noch ein Kurzfilm, mit einer sehr kurzen und oberflächlichen Einführung zu Plotin und dem Neuplatonismus, wobei die graphische Darstellung eigentlich nicht einmal ganz richtig ist, da schon Plotin selbst gemeint hat, dass man die Hypostasen statt mit hierarchischen Stufen besser mit ineinanderliegenden Kreisen darstellen sollte. Demzufolge ist die Ewigkeit Gottes als das absolut Gute, das neuplatonisch sogenannte "Eine", in der MITTE. Drumherum, wo Gott seine Energie, sein Licht und seine Liebe durch die Emanation unaufhörlich ausstrahlt und ausströmt, kommt der Kreis mit dem "Nous", auf Deutsch zumeist fälschlich mit "Geist" übersetzt, wobei die der vedisch-hinduistischen Philosophien angelehnte "Überseele" dem einiges näher kommt. Um "Nous", der Überseele, herum kommt der Kreis mit der "Psyche", also der Seele. Und um die Seele herum liegt der äusserste Kreis mit der ewigen, aber formlosen Materie, welche dauernd zerfällt, weil sie der Relativität unterworfen ist. Materie hat keine Form, auch wenn das die meisten Menschen glauben! Formgebend ist Gott, "das Eine".
Doch ich führe schon wieder viel zu weit, der Kurzfilm beschränkt sich auf weit weniger:
http://www.youtube.com/watch?v=Dsc8tBVrGJk
Ich muss noch anmerken, dass es von Anfang an verschiedene Ausrichtungen der neuplatonischen Philosophie gab, sogar bereits im spätantiken griechisch-römischen Heidentum: für oder gegen Theurgie etc.